David Schulz, Diplom-Sportwissenschaftler und Vorstandsmitglied der Stiftung Sicherheit im Sport, ordnet Pro und Contra von Kopfbällen im Fußball ein und bezieht eine klare Position.
- In bestimmten Altersklassen ist in den USA und Großbritannien das Kopfballspiel inzwischen verboten. In Deutschland sind die Wissenschaftler geteilter Meinung.
- Einen ersten Schritt geht der Deutsche Fußball-Bund (DFB), indem er bei Kindern und Jugendlichen leichtere Bälle und eine reduzierte Zahl von Kopfbällen im Training einführt.
- David Schulz ist sich sicher, dass künftige Studien weitere Belege für die schädigende Wirkung von Kopfbällen finden werden und irgendwann die Fußballverbände die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Seit Jahren ringt der DFB bei den Themen Gehirnerschütterungen und Kopfballspiel mit sich. Während andere Länder wie zum Beispiel die USA und Großbritannien bereits das Kopfballspiel und auch -training in bestimmten Altersklassen verboten haben, zögert der DFB noch und setzt weiter auf eine andere Strategie. Denn nach wie vor sind der Verband und seine Mediziner nicht überzeugt, dass die Studien, die einen Zusammenhang zwischen Kopfbällen und späteren Gehirnschädigungen belegen, aussagekräftig genug sind. Sie möchten erst noch weitere Forschungsergebnisse abwarten und bewerten, bevor sie Maßnahmen diskutieren und beschließen.
Aus Verbandssicht verständlich, ist doch das Kopfballspiel ein essenzieller Bestandteil des modernen Fußballs. Und sollte dies so bleiben, ist es natürlich wichtig, Kinder und Jugendliche auf die entsprechenden Belastungen vorzubereiten. So stellt eine gut trainierte Nacken- und Halsmuskulatur nach Überzeugung der meisten Wissenschaftler einen gewissen Schutz vor Gehirnverletzungen dar.
Ein Verbot des Kopfballspiels käme tatsächlich einer Revolution gleich, da sich das gesamte Spiel technisch und taktisch dadurch verändern würde. Für den DFB ist klar: Fußball ohne Kopfbälle ist nicht vorstellbar.
Erinnern Sie sich an die Einführung der Gurtpflicht?
Fachleute, die sich wie ich für die Prävention von Unfällen, Verletzungen und Dauerschäden einsetzen, sehen sich in ihrer Arbeit immer wieder ähnlichen Argumenten gegenüber. Einige Leser mögen sich noch an die Einführung der Gurtpflicht im Straßenverkehr im Jahr 1976 erinnern. Damals wurde von Gegnern der Gurtpflicht der „Untergang des Abendlandes“ prognostiziert. Über 45 Jahre später wissen wir: Durch die Gurtpflicht und die weiteren sicherheitstechnischen Entwicklungen bei Pkws wurden zehntausende Tote und Schwerverletzte verhindert und heute würde niemand mehr anzweifeln, dass die Gurtpflicht sinnvoll ist. Im Gegenteil: Für die allermeisten von uns gehört das Anlegen des Gurtes selbstverständlich zum Autofahren dazu.
Parallele: Helm beim Skisport
Ein anderes Beispiel dafür, wie sich eine Präventionsmaßnahme erfolgreich – und sogar ohne Vorschrift – in der Praxis durchgesetzt hat, ist der Skisport. Dort stieg – unterstützt durch einige medial sehr beachtete Unfälle Prominenter wie allen voran Michael Schumacher – der Anteil der Helmträger auf der Piste kontinuierlich und zum Teil sprunghaft an, so dass heute mehr als 90 Prozent der Skifahrerinnen und Skifahrer einen Helm tragen.
Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass es im Fußball eine freiwillige Entwicklung hin zu weniger oder keinen Kopfbällen geben wird. Vielmehr sind hier die Verbände gefragt, ihre Regelwerke basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechend anzupassen, um ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den Sportlerinnen und Sportlern nachzukommen.
Einen ersten Schritt geht nun der Deutsche Fußball-Bund (DFB), indem er bei Kindern und Jugendlichen leichtere Bälle und eine reduzierte Zahl von Kopfbällen im Training einführt. Auch über die zusätzlich beschlossenen Spielformen soll das Spiel in diesen Altersklassen künftig noch mehr am Boden stattfinden, statt in der Luft.
Werden Jugendliche in Großbritannien und den USA aufs Kopfballspiel ausreichend vorbereitet?
Vermutlich auch aufgrund des unterschiedlichen Haftungsrechts gehen die Verbände in den USA und Großbritannien hier einen anderen Weg und setzen auf Verbote. Dies geht aber mit dem Risiko einher, dass Jugendliche, wenn sie ein Alter erreicht haben, in dem sie dann „endlich“ Kopfbälle durchführen dürfen, auf diese Belastung nur unzureichend vorbereitet sind – eine neue Herausforderung für Trainerinnen und Trainer.
Auch in der Wissenschaft bilden sich mehr und mehr zwei Lager heraus: Die einen sind überzeugt, dass die negativen Folgen des Kopfballspiels ausreichend belegt sind und fordern entsprechende Konsequenzen – und zwar nicht nur für Kinder und Jugendliche. Die anderen führen an, dass es immer noch viele offene Fragen in diesem Forschungsfeld gibt, und raten von übereilten Entscheidungen ab.
Studien können nicht ignoriert werden
Für mich als Wissenschaftler und Umsetzer von Präventionsmaßnahmen in die Sportpraxis ist klar, dass so viele Studien aktuell in dieselbe Richtung weisen, dass sie nicht weiter ignoriert werden sollten. Im Zweifelsfall stelle ich die körperliche Unversehrtheit von sportlich Aktiven eindeutig über andere Argumente. Und das gilt ganz besonders für die Unversehrtheit unseres Gehirns, unserem wichtigsten Organ. Ich bin mir sicher, dass künftige Studien weitere Belege für die schädigende Wirkung von Kopfbällen finden werden und irgendwann die Fußballverbände die entsprechenden Konsequenzen ziehen werden. Traurig ist nur, dass bis dahin weiter Fußballerinnen und Fußballer auf der ganzen Welt ihre Gehirne bei der schönsten Nebensache der Welt schädigen werden.