Erste repräsentative, internationale Studie zu Kinderunfällen bei Sport und Bewegung: Vielfältige positive Effekte, ABER: Mehr als eine Million Verletzungen bei Sport und Bewegung pro Jahr!
Erstmals liegen Zahlen zu Unfällen von Kindern und Jugendlichen bei Sport und Bewegung vor: Eine aktuelle und repräsentative D-A-CH Studie (Deutschland – Österreich – Schweiz), durchgeführt im März 2022 vom österreichischen KFV (Kuratorium für Verkehrssicherheit) in Kooperation mit der Deutschen Stiftung Sicherheit im Sport, verdeutlicht eindringlich den dringenden Handlungsbedarf vor allem in Bezug auf nachhaltige Präventionsmaßnahmen.
Wie dramatisch häufig und ernst Kinder und Jugendliche bei Bewegung und im Sport verunfallen, zeigt der Blick auf die Zahlen aus Deutschland: Zusammengefasst verletzten sich von April 2021 bis März 2022 hochgerechnet über eine Million Kinder (oder 6,9 Prozent der Kinder in Deutschland) so schwer, dass sie ärztlicher Behandlung bedürfen. Die meisten Unfälle ereigneten sich im Schulsport (32%), gefolgt von Spielplätzen (30%) und dem Vereinssport (17%).
Alarmierend: Rund 5% der verletzten Kinder trugen Dauerschäden davon – das sind jährlich über 52.000 Kinder. Bei weiteren 28% der Verletzten besteht die Möglichkeit eines dauerhaften Schadens. Sprich: Mehr als jedes dritte Kind wird oder könnte dauerhaft an den Folgen seiner Sportverletzung leiden.
Unfallprävention: 85% der Unfälle hätten vermieden werden können!
Sind die Unfälle Pech oder hätten sie verhindert werden können? Rund 85% der Unfälle hätten sich nicht ereignen müssen, so die Einschätzung der Eltern. In der Hauptsache sehen sie die Betreuer*innen und Aufsichtspersonen in der Pflicht: Zusammengefasst meinen rund 24% der befragten Eltern, dass bessere Aufsicht, eine höhere Aufmerksamkeit oder eine bessere Begleitung den Unfall hätten verhindern können.
Interessant: Knapp 8% der Befragten vermuten eine Stellschraube in besserem Training bzw. umfassenderer Ausbildung der Trainer*innen und Betreuer*innen.
Rund 22% geben an, dass eine weniger hohe Risikobereitschaft der Kinder oder eine realistischere Einschätzung des Risikos den Unfall verhindert hätten.
Insgesamt scheint der Faktor Mensch einen höheren Stellenwert bei der Verhinderung von Unfällen zu besitzen als Schutzausrüstung, technischer und baulicher Schutz: Nur gut 15% der Eltern sehen „externe“ Faktoren als Möglichkeit der Verhinderung von Unfällen und Verletzungen an. Hier gilt: Je jünger die Kinder, desto häufiger sind nach Meinung ihrer Eltern Sport- und Spielplatzgeräte der Grund für Verletzungen.
Forderungen aus den Zahlen: Staatliche Unterstützung für Prävention ist nötig!
Was folgt aus den Erkenntnissen der Studie „Wissen, Einstellung und Verhalten zum Thema Kindersicherheit im D-A-CH-Raum in Deutschland“?
Zunächst die Feststellung, dass mit der Veröffentlichung im Mai 2022 zum ersten Mal repräsentative und belastbare Zahlen zu Häufigkeit und Schwere von Unfällen von Kindern und Jugendlichen bei Sport und Bewegung vorliegen. Die Studie leistet eine Übersicht über das Unfallgeschehen und wartet mit alarmierenden Zahlen auf. Nun muss dringend weiter geforscht werden: Welche Schäden erleiden die Kinder? Welche Sportarten sind besonders verletzungsintensiv? Und vor allem: Wie können Unfälle vermieden werden?
Der Vergleich der D-A-CH-Zahlen zeigt leider auch, dass die Unfall- und Verletzungszahlen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland höher sind als in Österreich oder der Schweiz. Das bedeutet: Deutsche Kinder unterliegen einem signifikant höheren Risiko, sich bei Sport und Bewegung zu verletzen oder zu verunfallen, als Kinder Österreich und der Schweiz.
Dies – so die Vermutung – liegt an dem unterschiedlichen Stellenwert, den Sportunfallprävention in den DACH-Ländern hat: In der Schweiz forscht und kommuniziert die BFU seit über 75 Jahren an Unfallprävention; sie ist aus dem Schweizer Gemeinwesen nicht wegzudenken. Pro Jahr stehen in der Schweiz – auf gesetzlicher Grundlage – umgerechnet knapp 2 Euro pro Bürger*in für Sportunfallprävention zur Verfügung.
In Österreich nimmt das mit öffentlichen Mitteln finanzierte KFV (Kuratorium für Verkehrssicher-heit) diese wichtige Schnittstelle ein. Beide Organisationen erarbeiten wissenschaftlich begründete Maßnahmen und rollen sie aus. In Deutschland fehlt bisher eine zentrale Organisation für Sportunfallprävention. Auch die Förderung der Thematik durch die öffentliche Hand beträgt nur einen winzigen Bruchteil gegenüber dem Ausland. Die Studienergebnisse zeigen die Notwendigkeit auf, diese Leerstelle endlich zu füllen.
Wie können Unfälle verhindert werden?
Wie können Unfälle verhindert werden?
Die Studie stützt deutlich die Gewissheit: Sportunfälle sind kein Pech, sondern lassen sich vermeiden. Wenn – wie dargestellt – rund 85% der Unfälle und Verletzungen vermeidbar sind, würden rund
890.000 Kinder jährlich keinen Unfall erleiden. 890.000mal weniger Schmerzen, Leid, Ängste und Sorgen. Jeder einzelne Unfall ist einer zu viel!
Die Stellschrauben zur Prävention sind zusammengefasst:
- Bewegungsförderung der Kinder, damit sie ihre Möglichkeiten kennen und einschätzen lernen, Risiken und Gefahren erkennen und damit umgehen können.
Dazu bedarf es:
- sicherer Sporträume in ausreichendem Maße,
- geschulter Betreuer*innen und Übungsleiter*innen
- eines Bewusstseins für Prävention zu, Sportunfällen einschließlich Aufklärung über Gefährdungen
- eines Bewusstseins für die Sinnhaftigkeit baulicher und technischer Qualitätsstandards,
- eines Bewusstseins für die Verwendung von Schutzausrüstung.
Das Fazit aus der Studie ist gleichermaßen bedrückend wie hoffnungsfroh: Die Anzahl der verunfallten und verletzten Kinder ist mit rund einer Million – insbesondere in einem „Corona-Jahr“ – alarmierend hoch. Jedoch existieren Ansatzpunkte, um die Anzahl und Schwere deutlich zu reduzieren.