Der Großgroßgroß-Verein
Hochschulsport bewegt Zehntausende junger Menschen in Deutschland. Alleine in Bochum sind 7.000 Studierende und Beschäftigte sportlich aktiv. Wie kann man die schiere Zahl nicht nur verwalten, sondern außerdem stetig steigende Qualität liefern?
Der Bochumer Hochschulsport in Zahlen: 42.000 Studierende an der Ruhr-Uni Bochum. 6.000 Teilnehmende pro Woche im Hochschulsport, zusätzlich 1.400 im Fitnessstudio Unifit. 500 Kurse pro Woche auf 35 Sportflächen. 103 Sportarten. 4 Programme pro Jahr. 300 Übungsleitende. „Wir haben uns in kurzer Zeit zu dieser Größe entwickelt. Vor neun Jahren hatten wir 2.000 Teilnehmende bei 120 Kursen.“
Leiterin Ines Lenze referiert diese Zahlen mit Stolz: Es ist ihr Kind, was sich so prachtvoll entwickelt hat. Ein Großgroßgroß-Verein. Mit allen Herausforderungen, die bei dieser Größe und den universitären Besonderheiten hinzukommen, und die auch Einfluss auf die Sportsicherheit haben. Beispiel Übungsleitende (ÜL): „Wir haben eine hohe Fluktuation. Denn die ÜL sind Studierende, die teilweise Honorarverträge über nur drei Monate haben. Wir müssen also die Themen immer wieder und immer wieder anbringen und unsere ÜL schulen.“ Die ÜL im Unisport haben alle schon eine Lizenz, aber die Gruppe ist heterogen. Die Leute kommen aus verschiedenen Bundesländern, aus verschiedenen Sportarten. „Das allgemeine Wissen etwa zur Ersten Hilfe ist weitgehend aktuell. Zusätzliches Wissen müssen wir dann auf die Agenda setzen.“
Alle mitnehmen
Die Agenda ist der ÜL-Leitfaden, der regelmäßig aktualisiert wird. „Das Kapitel Sicherheit wird derzeit auch mit Hilfe der Stiftung Sicherheit im Sport überarbeitet“, so Lenze. Grundsätzlich richte sich der Leitfaden am Sportanfänger aus – das ist der Maßstab. Ines Lenze hat mit ihrem RUB-Hochschulsport einen entscheidenden Vorteil: Da er sich erst in den letzten Jahren zu dieser Wucht entwickelt hat, konnte sie Sicherheitsaspekte (fast) von vornherein mitdenken. Die Kursbeschreibungen enthalten ganz organisch Sicherheitshinweise: Beim Tanzen wird etwa auf entsprechendes rutschfestes Schuhwerk hingewiesen.
Wer Übungsleiter oder Übungsleiterin werden möchte, muss eine sportartspezifische Ausbildung vorweisen. Dann folgt ein Erstgespräch und bei Bedarf ein Erste-Hilfe-Kurs mit Fokus auf Sport. Manchmal muss Ines Lenze nachjustieren. Momentan sind Nichtschwimmerkurse sehr gefragt: Asiatische Studierende lernen hier als Erwachsene das Schwimmen. Fremde Sprache, fremde Kultur, anderes Vorwissen – dafür Kurse anzubieten, funktioniert ganz anders als im Sportverein. Denn so unterschiedlich die Trainerinnen und Trainer im Hochschulsport sind, so unterschiedlich sind auch die Teilnehmenden.
„Und dann gibt es noch die andere große Anforderung: der Spitzensport. Darin sind wir überdurchschnittlich erfolgreich“, erzählt Ines Lenze abschließend. 50 Kaderathletinnen und -athleten studieren an der RUB. Die erfolgreichsten im Jahr 2018 waren Gina Lückenkämper, Vize-Europameisterin in der Leichtathletik im Sprint, und jene fünf Ruderer, die zur Besetzung des Weltmeister-Deutschlandachters gehörten. Auch diese Karrieren unterstützt der Hochschulsport. Ganz schön viele Aufgaben für einen sehr bunten, breit aufgestellten und sich ständig verändernden Großgroßgroß-Verein.
Unifit Bochum – so sollte es sein
Vincent führt uns herum. „Wir sind für jedes Training super ausgestattet“, sagt der Trainer stolz und zeigt auf die rund 15 Crosstrainer jeglicher Couleur. Dann weist er auf die Ergometer auf der Galerie und erklärt die einzelnen `Sorten´: „Die dort rechts stehen, haben eine Art Sitzschale, die sind für Menschen mit Rückenproblemen am besten geeignet.“
Es ist sechs Uhr abends. Die Fläche des Bochumer Unifit-Fitnessstudios ist noch recht leer. Wir befinden uns im ehemaligen Bochumer Stadtbad, das vor einigen Jahren wegen Baumängeln geschlossen wurde. Der Bochumer Hochschulsport schnappte sich die Räumlichkeiten und baute sie zu einem Fitnessstudio um. Die rund 140 Geräte stehen heute auf dem verfüllten Schwimmbecken, eine kleine Bodenkante zeugt davon. Sprungturm und Babybecken sind ansonsten die einzigen Verweise auf die ehemalige Schwimmhalle.
Was der Hochschulsport mit seinem Unifit geschaffen hat, ist ein Mercedes unter den Fitnessstudios. Rund 1.400 Hochschulangehörige trainieren hier und erhalten eine gute und günstige Basisleistung. Unifit betreibt kein Marketing, kein Hochglanz, verkauft keine Eiweißshakes. Understatement als Prinzip, denn Sport wird hier als Bildungsauftrag begriffen. Der 18-jährige Student, der hier schnell seine Bizeps aufpumpen möchte, wird von geschulten Trainern eines Besseren belehrt: Denn er wird angeleitet, wie er sein Training sicher und nachhaltig gestalten kann. „Wir vermitteln den Sportlerinnen und Sportlern, was in ihrem Körper vorgeht und wie sie ihr Trainingsziel erreichen können, ohne Überlastungen zu provozieren. Immer mit dem Ziel, dass die jungen Leute, wenn sie später die Uni verlassen, selbstständig trainieren können oder die Qualität von Sportangeboten bewerten können“, erklärt Vincent.
Darum hat Unifit vor das eigenständige Training einen Startkurs gesetzt. Vier Wochen lang vermitteln Vincent und seine KollegInnen den Interessenten Grundkenntnisse zu Physiologie und Training. Jede Woche treffen sich die Aspiranten und erhalten im Seminarraum eine theoretische Einführung samt Powerpoint-Präsentation, gefolgt von Erklärungen auf der Fläche und drei Übungen. Am Ende steht ein Zirkeltraining. „Nach dem Kurs wissen die TeilnehmerInnen, was sie wollen.“ Sie bekommen noch einen Trainingsplan für die nächsten vier bis sechs Wochen, ein Termintraining mit einem Trainer – und dann kann´s losgehen.
Die Studierenden haben an diesem Dienstagabend ihre Theorie absolviert und machen sich jetzt warm. Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Geräte belegt, der Laden läuft. Die Mehrheit sind Studierende, aber auch Lehrpersonal mit distinguiert-angegrauten Haaren schwitzt auf den Laufbändern. Die Neulinge Lena und Alex entscheiden sich für die Stepper. Alex scheint etwas falsch zu machen: Eine aufmerksame Trainerin eilt herbei und korrigiert ihn. Allein gelassen wird man im Unifit nicht.
Trainer Vincent nimmt seine Studis mit zur Freifläche und lässt sie „Stoff“ von letzter Woche wiederholen: Wirbelsäulenneutralstellung, Gesäßaktivierung. „Das entlastet den Rücken, und so kann man auch manchen Beschwerden im Alltag aus dem Weg gehen. Wichtig für Folgeübungen!“ Und die folgen jetzt wirklich mit dem abschließenden Zirkeltraining. Vincent stellt den Iron Cube („das Metallgerüst“) und die Übungen Seilschlagen, Ball werfen, Tritt hochsteigen, Kniebeugen mit Ball, Situps vor. Reihum 30 Sekunden, klingt easy, ist tatsächlich ´ne Ansage. Die Teilnehmenden kommen bald an ihre Grenzen, doch sie kämpfen gegen ihren inneren Schweinehund – wegen Vincent und bestimmt auch wegen uns Beobachtern.
In den Atempausen fragen wir, warum sie sich für den Sport im Fitnessstudio entschieden haben. Lena, 4. Semester Jura, sucht nach dem Ausgleich neben dem Studieren. Tilman, Mathe-Postdoc, findet, dass man Sport treiben muss, um fit zu bleiben und kommt mit dem Fitnesssport einfach super klar. Alex, 2. Semester Medizin, erhofft sich Gesundheit und ein besseres Körperverständnis. Und hat noch ein riesen Kompliment fürs Unifit: „Ein super Team hier! Man traut sich sonst nicht zu fragen, aber hier fühle ich mich sicher und gut vorbereitet.“