Sensomotorisches Training
Insbesondere Defizite im Bereich sensomotorischer Fähigkeiten (Gleichgewicht, neuromuskuläre Kontrolle) erhöhen das Risiko von Sportverletzungen.
Demnach erscheint es sinnvoll, das sensomotorische Training /Sensomotorik-Training (SMT) zur Verletzungsprävention in die reguläre Trainingspraxis zu integrieren, um somit einen aktiven Beitrag zur Vermeidung von Sportverletzungen und deren Langzeitfolgen zu leisten. Die Mehrzahl wissenschaftlicher Untersuchungen bestätigt die verletzungsprophylaktische Wirkung des SMT.
„Anhand der Ergebnisse systematischer Übersichten und Meta-Analysen kann von einer 36 %igen Reduktion des Verletzungsrisikos durch Balancetraining und einer 50 % igen Reduktion durch kombinierte Programme (z.B. Balance-, Kraft-, Sprungtraining) ausgegangen werden.“
Zech, A. & Hübscher M.: Sensomotorisches Training zur Prävention von Sprunggelenksverletzungen. 2012
Hintergrundinformationen zum Sensomotorik Training
Wirksam sind vor allem sensomotorische Programme, die Balancetraining, Krafttraining, Gewandtheitsübungen und Sprungübungen kombinieren.
Statische und dynamische Muskelaktionen
Die dabei vorkommenden Bewegungsabläufe lassen sich durch statische (isometrische) und dynamische Muskelaktionen beschreiben.
Bei der isometrischen Arbeitsweise entwickelt der Muskel Kraft gegen einen Widerstand, ohne sich dabei zu verkürzen, d.h. es entsteht keine Bewegung. Balanciert man zum Beispiel im Einbeinstand nimmt zwar die Spannung der Beinmuskulatur zu, aber es kommt zu keinen oder nur minimalen Bewegungen in den beteiligten Gelenken.
Im Gegensatz hierzu werden Muskelaktionen, die mit einer Längenveränderung des Muskels einhergehen als dynamisch bezeichnet. Die dynamischen Muskelaktionen werden weiter in nachgebende / abbremsende (exzentrische) und überwindende (konzentrische) Arbeitsformen unterschieden.
Bei exzentrischen Aktionen wirkt der Muskel einem Widerstand nachgebend/abbremsend entgegen, es kommt trotz der Kraftentwicklung durch von außen einwirkende Kräfte (z.B. Schwerkraft, Trainingsgewichte) zu einer Längenzunahme (Dehnung) des Muskels.
Beispielsweise wird bei der Landung nach einem Sprung die Oberschenkelmuskulatur durch den Einfluss der Schwerkraft gedehnt. Dieser Dehnung wirkt der Muskel nun durch gleichzeitige Kontraktion entgegen, um die Beschleunigung des Körpers in Richtung Boden abzubremsen. Muskelaktionen, die mit einer Kraftentwicklung und gleichzeitigen Muskelverkürzung einhergehen, werden als konzentrisch bezeichnet.
Beispielsweise kommt es während der Abstoßbewegung beim Sprung zur Kontraktion der vorderen Oberschenkelmuskulatur, bei der sich der Muskel verkürzt und das Kniegelenk gestreckt wird.
Die Kombination einer exzentrischen mit einer nachfolgenden konzentrischen Muskelaktion innerhalb eines komplexen Bewegungsablaufes (z.B. Laufen, Springen, Werfen) wird als Dehnungs- Verkürzungszyklus (DVZ) bezeichnet (Komi 1994). Der DVZ spielt bei nahezu allen sportlichen Bewegungen eine wichtige Rolle und sollte deshalb auch im Rahmen des SMT trainiert werden (z.B. durch Sprungübungen).
Kinetische Ketten
Darüber hinaus lassen sich Übungen in der offenen kinetischen Kette von Übungen in der geschlossenen kinetischen Kette unterscheiden.
Unter einer kinetischen Kette versteht man ein System von einzelnen Gliedern, die durch Gelenke miteinander verbunden sind.
Das Sprung-, Knie- und Hüftgelenk bilden die kinetische Kette der unteren Extremität. Wenn das letzte Glied der Kette (Fuß) fixiert oder stabilisiert wird, z.B. während der Standphase beim Gehen (Fuß am Boden) oder bei einer Kniebeuge, spricht man von einer geschlossenen kinetischen Kette.
Im Gegensatz hierzu ist das letzte Glied (Fuß) in einer offenen kinetischen Kette frei beweglich, z.B. während der Schwungphase beim Gehen (Fuß in der Luft) oder einer Streckbewegung im Kniegelenk, die im Sitzen mit frei hängenden Beinen durchgeführt wird. Das Hand-, Ellenbogen-, und Schultergelenk bilden die kinetische Kette der oberen Extremität.
Analog zur unteren Extremität ist die geschlossene kinetische Kette der oberen Extremität durch Fixierung oder Stabilisierung des letzten Gliedes (Hand) gekennzeichnet (z.B. Liegestütze), während dieses in der offenen kinetischen Kette frei beweglich ist (z.B. Ballwurf).
Für die Praxis des SMT werden aus zwei wichtigen Gründen insbesondere Übungen in der geschlossenen kinetischen Kette empfohlen.
- Zum Ersten sind Bewegungen in der geschlossenen Kette spezifischer im Hinblick auf sportliche Aktivitäten, da diese meist Muskelaktionen in der geschlossenen Kette beinhalten (Laufen, Springen).
- Zum Zweiten betreffen Bewegungen in der geschlossenen Kette mehrere Gelenke und es müssen daher auch mehrere, die Gelenke umgebende Muskeln gleichzeitig aktiviert werden (Co-Kontraktion). Dies stimuliert die Propriozeption, fördert die muskuläre Koordination und verbessert die Gelenkstabilität (Prentice 2004).
Methodische Grundsätze und Trainingsprinzipien des SMT-Programms
Sich vor einem Spiel oder Training aufzuwärmen, ist für nahezu jeden Sportler und Trainer selbstverständlich.
Gezieltes Aufwärmen steigert die Leistung und senkt zusätzlich bei regelmäßiger Anwendung geeigneter sensomotorischer Übungen das Verletzungsrisiko um bis zu 50 %.
SMT kann in Form eines spezifischen Aufwärmprogramms ohne zusätzlichen Zeitaufwand in die reguläre Trainingspraxis integriert werden, in dem es das herkömmliche Aufwärmprogramm ergänzt oder gänzlich ersetzt.
Sensomotorische Aufwärmprogramme sind auch im internationalen Fußball seit längerem fester Bestandteil der Trainingspraxis.
- Das SMT sollte vor jeder Trainingseinheit durchgeführt werden, mindestens jedoch 2 mal pro Woche.
- Als wirksam erwiesen haben sich Trainingsprogramme mit einer Zeitdauer von mindestens 3 Monaten.
- Findet das eigentliche sportliche Training nur einmal pro Woche statt, kann eine zusätzlich SMTEinheit in Form eines Heimtrainings durchgeführt werden.
- Eine Dauer von 20 – 25 Minuten pro Trainingseinheit hat sich als ausreichend erwiesen.
- Grundsätzlich gilt auch hier, dass der Schwierigkeitsgrad der Übungen sowie die Belastungsgestaltung immer an die aktuelle individuelle Leistungsfähigkeit der Trainierenden anzupassen ist.

Das SMT-Programm besteht aus 4 Komponenten, die in folgender Reihenfolge durchgeführt werden:
- Allgemeines Aufwärmen (5 Minuten)
- Balancetraining (5 Minuten)
- Sprungtraining (ca. 5 – 10 Minuten) und
- Krafttraining (ca. 5 – 10 Minuten)
Allgemeines Aufwärmen
5 Minuten allgemeines Aufwärmen
Zum allgemeinen Aufwärmen eignen sich zum Beispiel Lauf- und Gewandtheitsübungen (vorwärts, rückwärts, Seitgalopp, seitlich überkreuzen, Hopserlauf, Zick-Zack-Lauf, Ausfallschritte, Anfersen, Skipping, Kniehebelauf, Shuttle Run, Sprints etc.).
Balancetraining
5 Minuten Balancetraining
- Die Balanceübungen sollten sowohl unter statischen als auch dynamischen Bedingungen durchgeführt werden.
- Es werden 1 – 2 Übungen mit jeweils 2 – 3 Serien mit einer Belastungsdauer von 20 – 30 Sekunden durchgeführt.
- Die Pausendauer zwischen den Serien beträgt 20 – 30 Sekunden.
- Trainiert wird im ein- und beidbeinigen Stand auf stabilen und instabilen Unterlagen wie z.B. Weichbodenmatte, Balance-Kreisel, Wackelbrett, Mini-Trampolin, Airex Balance Pad etc.
- Die progressive Steigerung des Schwierigkeitsgrades erfolgt z.B. durch Reduktion der Unterstützungsfläche (vom bipedalen zum unipedalen Stand), Wegnahme der visuellen Kontrolle, Variation der Unterstützungsfläche (Schaukelbrett, Balance-Kreisel) und durch Zusatzübungen.
Sprungtraining
5 bis 10 Minuten Sprungtraining
Die Sprungübungen werden primär eingesetzt, um die Gelenkstabilität und Balance während hochdynamischer Bewegungen und insbesondere während der Landung zu trainieren. Die Fähigkeit, bei der Landung achsengerecht stabilisieren zu können, kann das Risiko schwerer Gelenkverletzungen minimieren. Achsengecht bedeutet, dass sich Hüft-, Knie-, und Fußgelenk, von vorne betrachtet, auf einer gedachten Linie befinden, die idealerweise jeweils durch die Gelenkmitte verläuft. Eine nicht achsengerechte Valgusstellung der Knie (X-Beine) bei der Landung ist beispielsweise eine häufige Ursache für Kreuzbandverletzungen. Bei den Sprungübungen sollte deshalb immer auf eine adäquate Landetechnik im Sinne einer achsengerechten Ausrichtung der Hüfte, Knie und Füße geachtet werden (Olsen et al. 2005).
- Auch das Sprungtraining sollte progressiv gesteigert werden und zwar durch Erhöhung der Komplexität (von einfachen Vertikalsprüngen über Seitsprünge hin zu Sprungkombinationen und Niedersprüngen von Kästen/Stufen o.ä.) sowie durch Erhöhung der Wiederholungen und Serien.
- Zunächst werden einfache Sprünge mit jeweils 2 – 3 Serien und 10 – 12 Wiederholungen durchgeführt.
- Mit zunehmendem Leistungsniveau kann die Serienzahl auf 3 – 5 und die Wiederholungszahl auf 15 – 30 gesteigert werden.
- Die Serienpause beträgt 1 Minute.
Krafttraining
5 bis 10 Minuten Krafttraining
Die Kräftigungsübungen für die Bein- und Rumpfmuskulatur und/oder Schultergürtelmuskulatur können durch Einsatz des eigenen Körpergewichts und mit Kleingeräten wie z.B. Therabändern, Hanteln und Gewichtsmanschetten durchgeführt werden.
Die Auswahl die Zielmuskulatur orientiert sich am Beanspruchungsprofil der jeweils betriebenen Sportart und deren charakteristischem Verletzungsgeschehen.
Folglich kann es sich um Übungen für die oberen und/oder unteren Extremitäten handeln.
Beispielsweise kann bei Handballern ein Training der Schultergürtelmuskulatur sinnvoll sein, während bei Fußballern vorrangig die Muskulatur der unteren Extremitäten trainiert werden sollte.
Die Belastungsgestaltung der Muskelkräftigung orientiert sich an den Empfehlungen zur Belastungsdosierung und –steuerung im gesundheitsorientierten Krafttraining.
- Es werden 2 Übungen mit jeweils 2 – 3 Serien und 10 – 12 Wiederholungen durchgeführt werden.
- Die Pausendauer zwischen den Serien beträgt jeweils 1 – 2 Minuten.
- Bei isometrischen Übungen zur Rumpfstabilisierung werden pro Übung 3 Serien mit eine Anspannungsdauer von 20 – 30 Sekunden durchgeführt.
Insbesondere die letzten Wiederholungen einer Serie sollten als ermüdend empfunden werden. Eine mühelose Überschreitung der vorgegebenen Wiederholungszahl zeugt von Unterforderung und verlangt eine Erhöhung der Belastungsintensität, z.B. durch Zuhilfenahme von Zusatzgewichten (Hanteln oder Gewichtsmanschetten).
Schafft der Trainierende die vorgegebene Wiederholungszahl nicht oder nur bei unsauberer Technik, muss die Belastungsintensität z.B. durch Variation der Übungsausführung und/oder Gewichtsreduktion verringert werden.
