Trainieren auf Augenhöhe:
Mit einem großen Fanal trat Fabian Hambüchen 2016 von der internationalen Bühne ab – die Goldmedaille in der Tasche und als Deutschlands erfolgreichster Turner. Dass er es über anderthalb Jahrzehnte geschafft hat, an der Spitze mitzuturnen, verdankt er auch dem intelligenten, präventiven Training seines Vaters Wolfgang.
„Eigentlich war ich der mit den wenigsten Verletzungen“, sagt Fabian Hambüchen und zählt seine Blessuren auf: 2008 Riss des Innenbandes am kleinen Finger, 2009 Außenband am Fuß gerissen, 2011 Achillessehnenabriss, 2016 Riss der Supraspinatussehne – die berühmte Schulter in Rio.
In gewisser Weise normal für einen Spitzenturner – doch wie er mit seinen Verletzungen umgegangen ist, hat sich über seine Karriere hinweg reichlich verändert. „Als mir in Peking das Innenband am Finger riss, wollte mein Vater mich vom Mehrkampffinale abmelden. Ich sagte: Ich sage auf gar keinen Fall ab! Ich war 21, mir war egal, was mit dem Finger ist. Die olympischen Spiele waren alles für mich.“ Tatsächlich: Die Mediziner waren der Meinung, dass die Verletzung durch einen Wettkampf nicht schlimmer werden könne. Hambüchen turnte.
Als ein Jahr später das Band am Fuß riss, wollte Hambüchen „das einfach tapen lassen“ – aber schnell war klar, dass die Verletzung operiert werden musste. Hambüchen verpasste die WM. Die jahrelangen Landungen forderten auch in den nächsten Jahren ihren Tribut: Die Sehnen der Füße machten Zicken. Der Abriss der Achillessehne 2011 hätte sich nicht vermeiden lassen. Aber Fabian Hambüchen nahm die Turnpause als Anlass, sie richtig auszukurieren. „Ich dachte, jetzt habe ich die Chance, dass es wieder richtig gut wird, und manches geschieht halt aus Gründen.“
Schneller, höher, weiter
Während in vielen Sportarten das Bewusstsein um Verletzungsrisiken wächst, hat der Turnsport einen anderen Weg eingeschlagen. Mehr Salti, mehr Schrauben. Unter den Boden sind Stahlfedern eingelassen, die höhere Sprünge und längere Flugphasen erlauben. Die Belastung für die Füße steigt. „Ich finde den Trend nicht gut, alles wird immer schwieriger, immer spektakulärer.“ Er erzählt, dass sein Vater – sein langjähriger Trainer – viel sportwissenschaftliches Knowhow ins Training eingebracht habe. Seine Sportler sollten so gesund wie möglich trainieren – lieber eine Schraube weniger, dafür technisch brillant. „Wir haben intelligent und präventiv trainiert, aber das ist leider nicht der Regelfall.“
Fabian Hambüchen kann sich gut erinnern, wie er als Jugendlicher war: kein Kopf für Sicherheit. Sicherheit war Aufgabe des Trainers und ein guter Trainer bringt seinen Schützlingen von klein auf präventive Übungen bei. Im Idealfall besteht das Team eines Spitzensportlers aus Spezialisten für jeden Fachbereich. So arbeitet auch Wolfgang Hambüchen. Jeder wurde für voll genommen, alle sprachen stets auf Augenhöhe. „Was denkst Du? – Das fragte mein Vater ganz oft. Und wir haben festgestellt, dass die Sichtweise von Sportler und Trainer eigentlich gleich war, nur aus unterschiedlichen Perspektiven. Ich denke übrigens, das ist auch die Aufgabe des Arbeitgebers – in meinem Fall des Deutschen Turnerbundes –solche Teams zu ermöglichen.“
Fabian Hambüchen ist Deutschlands erfolgreichster Turner. Was kann ein 40facher Deutscher Meister den Sportlern da draußen mitgeben? „Ich kenne das von mir selbst: Viele Sportler wärmen sich nicht gescheit auf oder dehnen sich nach dem Sport nicht gescheit. Das wird zu sehr auf die leichte Schulter genommen, aber jeder Sportler muss das wissen!“