Gespräch mit Roman Grahle, DIN Institut: Die unsichtbaren Retter

Gespräch mit Roman Grahle, DIN Institut: Die unsichtbaren Retter

Während die einen die Nase über zu viele Regeln und Normen rümpfen, arbeiten die anderen im Hintergrund beständig an unserer Sicherheit. Gott sei Dank höchst erfolgreich! Ein Gespräch mit Roman Grahle vom DIN Deutsches Institut für Normung e. V.

 

Herr Grahle, welchen Beitrag leistet Normung zur Sicherheit und Prävention von Unfällen und Verletzungen?

Grahle: Normung verfolgt Schutzziele für den Menschen in den Bereichen Gesundheit, Arbeit und Freizeit sowie für die Umwelt. Außerdem senkt sie Risiken für Anwender und trägt zur Sicherheit bei. Weitere Ziele sind Rationalisierung, Qualitätssicherung, Verständigung und Innovationsförderung. Der Arbeitsschutz spiegelt sich vor allem in den vorbeugenden Sicherheitsanforderungen an Maschinen und Prozesse sowie in den persönlichen Schutzausrüstungen wider.

Die Kommission Sicherheitstechnik (KS) koordiniert diese Themen. Im Bereich des Gesundheitsschutzes erfolgt die Koordinierung in der Kommission Gesundheitswesen (KGw). Dort sind außer den wesentlichen Stakeholdern auch die beteiligten DIN-Normenausschüsse (Medizin, Rettungsdienst und Krankenhaus, Radiologie, Feinmechanik und Optik, Bereich Medizin bei der DKE) vertreten. Neben der KS gibt es außerdem die KAN, Kommission Arbeitsschutz und Normung, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, die Themen des Arbeitsschutzes in der Normung vertritt.

An welchen Beispielen können wir sehen, wie relevant und aktuell Normung ist?

Grahle: Die Rettungsweste ist die maßgebliche persönliche Schutzausrüstung gegen Ertrinken. Gerade in der Binnenschifffahrt dürfen nur durch akkreditierte Prüfstellen geprüfte und zertifizierte Rettungswesten nach der Normenreihe DIN EN ISO 12402 genutzt werden. Entscheidend ist die Tragkraft in Newton (N). Dadurch gibt es vier Leistungsklassen: Die unterste Klasse ist den Schwimmhilfen vorbehalten, die gute Schwimmer in Ufer- oder Küstennähe nutzen bzw. dort, wo Hilfe und Rettung schnell gewährleistet wird. Wie wichtig das Tragen der geeigneten Rettungsweste ist, zeigen Berichte über verunfallte Personen im Bereich der Sportschifffahrt, die – beispielsweise beim Segeln – entweder keine oder die falsche Rettungsweste trugen. Es reichte ein Sturz oder auch ein Herzinfarkt, der zur Bewusstlosigkeit und zum Ertrinkungstod führte.

Oder betrachten wir Schwimmbäder. Zwar ist Schwimmbadpersonal gut geschult, bedrohliche Situationen zu sehen, zu erkennen und angemessen zu handeln. Trotzdem bleiben Restrisiken. Mit einer „allsehenden“ Technologie bietet sich für das Schwimmbadpersonal im wahrsten Sinne des Wortes ein Überblick über das Schwimmbecken und alle Menschen darin. DIN EN ISO 20380, Computersysteme für das Erkennen von Ertrinkungsunfällen in Schwimmbädern, legt die Anforderungen fest. Darin enthalten sind die maximale Dauer, bis ein Notfall erkannt wird, die genaue Angabe, wo der Notfall im Becken ist oder die Genauigkeit des Erkennens eines Notfalls. So bietet die Norm die Grundlage für vertrauenswürdige, sichere und genaue „Zusatzaugen“ für das Schwimmbadpersonal.

Unbeschwertes Spielen auf Spielplätzen? Das wünschen sich Kinder und ihre Eltern gleichermaßen. Kommunen, Kitas, Schulen, Wohnungsgenossenschaften und viele weitere Träger verlassen sich auf Spielplatzgeräte nach der Normenreihe DIN EN 1176 und formulieren Sicherheits-/Schutzziele bereits in den Ausschreibungen. Hersteller von Spielplatzgeräten richten sich nach den sicherheitstechnischen Anforderungen der Normenreihe. So können sich Kinder und Eltern auf das Spielen konzentrieren – und das nachweislich seit über 40 Jahren.

Trampolinparks sind im Trend. Insbesondere Kinder toben sich bis an ihre Grenzen aus und erleben Spaß und Sport. Neben den klassischen Trampolinen, die zu großen Sprungflächen kombiniert werden, bieten Trampolinparks zahlreiche weitere Attraktionen. Während aber für Spielplätze, Skateparks, Seilgärten und viele weitere Sport- und Freizeiteinrichtungen seit Jahren Normen und Standards vorliegen, sind Trampolinparks diesbezüglich Neuland. So erfolgte im Juni 2018 der offizielle Startschuss für die Internationale Norm DIN EN ISO 23659 zu sicherheitstechnischen Anforderungen an Trampolinparks. Die Norm wird voraussichtlich 2020 fertig gestellt.

In den Arbeitsausschüssen (AA) sitzen Vertreter der Wirtschaft mit Fachleuten aus Wissenschaft sowie der öffentlichen Hand und weiteren Institutionen an einem Tisch. Angestrebt wird üblicherweise Konsens. Klappt das?

Grahle: Konsens ist einer der Grundsätze der Normungsarbeit. Die der Normungsarbeit von DIN zugrunde liegenden Regeln garantieren ein für alle interessierten Kreise faires Verfahren, dessen Kern die ausgewogene Berücksichtigung aller Interessen bei der Meinungsbildung ist. Der Inhalt einer Norm wird mit dem Bemühen festgelegt, eine gemeinsame Auffassung zu erreichen, die allgemeine Zustimmung findet. Die Projektmanager von DIN moderieren dabei den gesamten Prozess – die interessierten Kreise verständigen sich über die Inhalte der Norm.

Neue Normen werden vorab veröffentlicht, und Dritte können den geplanten Formulierungen widersprechen. Passiert dies oft? Und welches sind die häufigen Widerspruchsbereiche?

Grahle: Ein weiterer Grundsatz der Normungsarbeit ist die Öffentlichkeit. Dabei werden alle Normungsvorhaben und Entwürfe zu DIN-Normen öffentlich bekannt gemacht und vor ihrer endgültigen Festlegung der Öffentlichkeit zur Stellungnahme vorgelegt. Kritiker werden an den Verhandlungstisch gebeten, wobei jeder eingegangene Einspruch mit dem Einsprecher verhandelt werden muss. So hat jeder, auch wenn er nicht zum Gremium, das die Norm erarbeitet, gehört, die Möglichkeit, Stellung zu den Inhalten zu beziehen und sich einzubringen.

Stellungnahmen aus der Öffentlichkeit gehen besonders häufig ein, wenn der Anwendungsbereich der Norm auf ein großes öffentliches Interesse abzielt.

Julia Fitzek | | 0 Kommentar(e)
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